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"Der zerbrochene Krug" im Schauspielhaus Salzburg

Eine entehrte Eve, ein verletzter Richter, ein leugnender Beschuldigter und ein zerbrochener Krug; im Schauspielhaus Salzburg inszenierte Esther Muschol die nur auf den ersten Blick zweideutige Indizienlage des „Zerbrochnen Krugs“ frisch und modern.

Alles begann mit einem Dichterwettstreit. Heinrich von Kleist sah auf einer Reise in die Schweiz bei Heinrich Zoschkke einen Kupferstich von Jean-Jacques Le Veau („Le Juge ou la cruche cassée“) und lieferte sich daraufhin einen literarischen Wettbewerb. Zoschkke schrieb eine Erzählung, Ludwig Wieland eine Satire und Kleist ein Lustspiel. Letzteres wird zurzeit im Schauspielhaus Salzburg gegeben. Esther Muschol inszenierte das Kleist'sche Lustspiel und konzipierte unisono mit Bühne (Fabian Lüdicke) und Kostüm (Agnes Hamvas) ein futuristisches Antike-Revival. Die entsprechend gekleideten Schauspieler*innen tummeln sich im Ambiente eines Gerichtssaales, dessen Konstrukt an einen griechischen Tempel erinnert; in der Mitte ein Richterstuhl, der leuchtet und spricht und den futuristischen Charakter unterstreicht.

Als Dorfrichter Adam (Marcus Marotte) eines Abends der jungen Eve (Kristina Kahlert) ein unmoralisches Angebot macht, wird er von ihrem Verlobten Ruprecht (Matthias Hinz) unerkannterweise hiebreich in die Flucht geschlagen. Völlig lädiert an Kopf und Bein trifft er wieder bei Gericht ein und sieht sich mit den Konsequenzen seiner amoralischen Umtriebigkeit konfrontiert. Dort stellt sich nämlich pünktlich zum neuen Gerichtstag nicht nur höchst ungünstig Gerichtsrat Walter (Olaf Salzer) ein, um Kasse und Amtsführung zu überprüfen, sondern auch Eves Mutter Frau Marthe (Susanne Wende). Die will Ruprecht verklagen, weil bei dem nächtlichen Besuch mit dem Fall ihres Krugs auch Eves Ehre in die Brüche ging. Ruprecht leugnet selbstverständlich und beruft sich auf den unbekannten Dritten, wenn er nicht gerade wütend Evchen mit wüsten Worten beschimpft. Man kann M. Hinz' Charakter dabei hervorragend beim Denken zusehen. Eve wiederum entpuppt sich als der intellektuell aktive Teil dieser Beziehung und hält sich eigensinnig zurück. Nur nicht den wahren Schuldigen benennen und seine angedrohten Konsequenzen erleiden; so ein Dorfrichter biegt sich schließlich das Recht, wie es ihm gefällt und unternimmt alles, um die Aufklärung des ominösen Falles zu verhindern. Genau darin liegt auch die wunderbare Komik des „Zerbrochnen Kruges“ verborgen, das sich in seiner analytischen Entwicklung ganz am antike Drama orientiert. Sprachlich höchst flexibel wirft Dorfrichter Adam mit Ausflüchten um sich, während er sich köstlich windet und wendet und nicht fassbar scheint. Frau Marthe pocht indes mit auffälliger Haarpracht unablässig auf Gerechtigkeit, wobei der Anschein entsteht, dass sie sich mehr um ihren Krug als um ihre Tochter sorgt. Schreiber Licht (Martin Brunnemann) scharwenzelt persistent um die höheren Herren und führt futuristisch iProtokoll. Er scheint so eine Ahnung zu haben, die er allerdings nicht direkt benennt. Konträr dazu Gerichtsrat Walter, der sich aktiv um Rekonstruktion bemüht; souverän, umsichtig und mit einem Hauch von Ironie wahrt er den Überblick und sorgt tatsächlich für Gerechtigkeit. Auf die große Schussapotheose hofft man bei Kleist trotzdem vergebens. Denn um den zerbrochnen Krug selbst ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Der ungemeine Reiz des Kleist'schen Lustspiels konstituiert sich aus dem Nicht-Wissen der Figuren und der Ahnung des Publikums, das auch in Salzburg genüsslich zelebriert wird. Die Hinweise verdichten sich in einschlägige Richtung, der Muschol noch ein Scherflein nachlegt, wenn sie eine traumartige Einstiegsfrequenz hinzufügt, die Dorfrichter Adam und Eve in Andeutung an eine kompromittierende Situation zeigt. Das Publikum hätte den Anschluss vermutlich zwar auch ohne diesen Hinweis gefunden, allerdings stimmt die Szene entsprechend auf den Abend ein und schürt die Lust auf mehr.

© Veronika Zangl, 2016

 

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