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Pierre Boulez ist tot

Nachruf zum Tod von Pierre Boulez

„Seit Monaten haben wir uns vor dieser Nachricht gefürchtet. Pierre Boulez ist tot. Die Musikwelt hat einen der ganz Großen verloren. Ohne ihn wäre die Geschichte der Musik seit 1945 eine andere. Und auch in Salzburg hat er als Dirigent und Komponist Festspielgeschichte geschrieben“, so Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler.

1960 stand er zum ersten Mal als Dirigent und Komponist auf dem Programmzettel der Festspiele. Herbert von Karajan saß damals im Publikum, als die Kontra-Punkte von Karlheinz Stockhausen und Improvisations sur Mallarmé von Pierre Boulez erklangen. „Abfallprodukte der Musikgeschichte“ höhnte damals die Kritik. Wie aber so oft haben sich nicht die Kritiker, sondern die Komponisten durchgesetzt.

1992, zum Auftakt der Ära Mortier/Landesmann/Wiesmüller gestaltete er als Composer in residence einen Zyklus mit Klassikern des 20. Jahrhunderts: „Der Nenner wäre, wenn ich mich sehr pompös ausdrücke: Ich und die Geschichte, meine Vorgeschichte.“ So erklang im Lehrbauhof als österreichische Erstaufführung Répons. Ein Stück das die auch 2015 im Rahmen eines Boulez Schwerpunktes zum 90. Geburtstag des Komponisten zur Aufführung brachten.

Am 30. August 1992 kam es zu jener denkwürdigen Begegnung mit den Wiener Philharmonikern, die so folgenreich für die Zukunft sein sollte. Boulez leitete von dort an das Orchester regelmäßig nicht nur in Salzburg, sondern auch in Wien, auf Gastspielen und für CD-Aufnahmen. Die Chemie zwischen Boulez und den Wiener Philharmoniker stimmte ab dem ersten Takt. In nicht weniger als sechs überlangen Proben ließen sich die Philharmoniker ins Boulezsche Universum verführen, hingerissen vom Wissen und der Persönlichkeit des Maestros. Der Jubel im Großen Festspielhaus kannte keine Grenzen. „Es war der Höhepunkt einer Programmstrategie des neuen Festspieldirektoriums, mit der die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts als gleichberechtigter Bestandteil neben Klassik, Romantik und Alter Musik im Festspiel verankert werden soll“, schrieb damals Gerhard Rohde in der FAZ, „Boulez ließ sich mit voller Absicht und ohne List als Konterbande in das strategische Konzept einschmuggeln. Wenn es heute einen Komponisten gibt, der an einem traditionsbehafteten, in den letzten Jahren immer mehr von kommerziellen Interessen beherrschten Festspielort eine Schlacht für die Moderne schlagen und sogar gewinnen kann, dann konnte dieser nur Pierre Boulez heißen. In zwei Wochen, die er in der Festspielstadt weilte, veränderte Boulez die Salzburger Konzertszene nachhaltig.“

1996 leitete er die Aufführungen von Arnold Schönbergs Moses und Aron in der Regie von Peter Stein. Seither dirigierte Pierre Boulez regelmäßig Konzerte bei den Salzburger Festspielen.

Boulez galt lange Zeit als Rebell und Enfant terrible, der mit provokanten Äußerungen nicht sparte. „Ich denke, das Neue in der Kunst provoziert immer, muss immer provozieren.“ Als Scherz mit dem ernsten Hintergrund, den Mief des routinierten Repertoiretheaters aus der Oper zu vertreiben, hatte er einst in einem SPIEGEL Interview vorgeschlagen, die „Opernhäuser in die Luft zu sprengen“, als „teuerste Lösung“, aber vielleicht auch die „eleganteste“. Später, sagte Boulez, er sei froh, dass sie noch stehen. Den Kampf gegen die gefährliche Routine in den Opernhäusern führt er bis zuletzt. Doch längst standen ihm andere Mittel zur Verfügung den Klassikbetrieb in seinem Sinne zu verändern. „Wenn man jung ist, steht man draußen vor der Tür und bellt. Protest ist das einzige Mittel, das einem zur Verfügung steht. Doch nach einer gewissen Zeit habe ich die Möglichkeit erhalten, auch etwas zu realisieren. Das muss man dann auch tun. Ich habe versucht, die Sturheit der Institutionen zu unterwandern und an ihnen das aufzuführen, wofür ich kämpfe: die Musik des 20. Jahrhunderts.“

(Text: Salzburger Festspiele)

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