seitentitelbild_vers_3_5
salzburgs_erster_mit_6

The Swing Thing - Ein Tanzmarathon

Brot und Spiele auf dem Tanzparkett

Im Schauspielhaus Salzburg bittet das fast vollzählige Ensemble mit „The Swing Thing“ zum Tanzmarathon und erlebt das wohl zweifelhafteste amerikanische Vergnügen ein Revival.

Die Inszenierung von „The Swing Thing“ (Regie: Robert Pienz) basiert auf McCoys 1935 erstmals publizierten Roman und lässt im Zeitraffer eines Theaterabends die vermutlich härteste Wettbewerbsdisziplin seit der Abschaffung der Gladiatorenkämpfe des Imperium Romanum wiederaufleben.

Fröhlich ambitioniert starten die Tänzer*innen in den etwas anderen Marathon. Posen werden eingenommen, in Richtung Publikum kokettiert. Doch alsbald treten erste Ermüdungserscheinungen auf. Ein Tanzmarathon ist Schwerstarbeit; alle 110 Minuten folgt eine zehnminütige Pause.
Die feine Grenze von Fiktion und Realität wird überschritten, wenn der durchtriebene Promoter Rocky (Martin Brunnemann) lautstark in ein praktikabel drapiertes Retro-Mikrofon brüllt und um Aufmerksamkeit buhlt. Um noch ein Inszenierungsschäuflein und eine Grenzüberschreitung nachzulegen, oszilliert das physische Theaterpublikum kurzerhand in das inaktive des misanthropischen Tanzexzesses. Der aktive Part konzentriert sich auf eine Person, Mrs. Layden (Susanne Wende), die eifrig und juvenil-heiter „ihr“ Tanzpärchen unterstützt. Das Produkt ist eine inszenierte Welt – auf wie vor der Bühne –, die der findige Promoter meistbietend verkauft. Denn das Publikum lechzt bereits nach Skandalen und Tragödien und giert nach Erfolgen und Desastern. Der Voyeurismus des späteren Reality TVs wird als emergentes Phänomen vorweggenommen und einer amoralischen Gesellschaft in extenso ihr Spiegel vorgehalten.

Die sozialkritische Komponente von „The Swing Thing“ ist nur schwer zu ignorieren, da sie sich in keiner Metaebene verborgen hält. Vielmehr werden offensiv gesellschaftliche Missstände im Handlungsgewebe verarbeitet und bröckelt alsbald die fröhliche Fassade der ersten Szene. In einem auf die 30er Jahre getrimmten Bühnenbild (Ausstattung: Ragna Heiny, Choreographie: Jasmin Rituper), das sich in der Mitte des Raumes konzentriert und tatsächliches Tanzflair evoziert, wird das Publikum Zeuge einer rasch voranschreitenden Degeneration. Die Topographie des Vergnügens wandelt sich zu einer des Verfalls, die ein voyeuristischer Charakter prägt; der Euphorie der Pärchen ist minutiös beim Schwinden zuzusehen. In präziser Detailarbeit trägt jedes seine ganz eigene Geschichte in Haltung und Mimik nach außen. Indes gewähren filmische Methoden figurenbezogene Introspektiven, die tänzerisch gelungene Zeitraffer-Choreographien kreieren und ein Beiseite-Sprechen der Protagonist*innen ermöglichen. An dieser Stelle erfährt das Publikum, dass die meisten der Bewerber*innen durch regelmäßigen Mahlzeiten in den Wettbewerb gelockt wurden, andere befinden sich auf der Suche nach dem großen schauspielerischen Durchbruch.
Der seelische Striptease hat seinen Kulminationspunkt allerdings noch keinesfalls erreicht, das Fremdschämen im realen Publikum für die längst nicht mehr anwesenden Besucher*innen der frühen 30er Jahre beginnt; zusätzliche Show-Einlagen einzelner Akteur*innen sollen die Zuschauerreihen gnädig stimmen und vielleicht steht am Ende gar ein Sponsorenverhältnis? Die einen singen (Alexandra Sagurna, Nenad Subat, Kristina Kahlert), die anderen steppen (Moritz Grabbe) und manche deklamieren mit großem Eifer und (Alexandra Sagurna gespielt) mäßigem Talent.
Die eigentlichen Hauptakteure verharren derweil unaufdringlich im Fokus des Geschehens, auch wenn sie sich eigentlich gerade am Rande befinden. Die ewig lamentierende Gloria Beatty (Yael Hahn) und der pragmatisch veranlagte Roberty Syverton (Matthias Hinz) werden durch Zufall zusammengeführt; ein folgenschweres Aufeinandertreffen, da der geschickt arrangierte Spannungsbogen eine Handlungsebene einführt, die eigentlich bereits in der Zukunft situiert ist.

Die Veranstaltungsmanege von „The Swing Thing“ mag das Flair des längst Vergangenen und Derangierten tragen. Die Live-Band und ihre drei Sängerinnen (Bina Blumencron, Vera Pienz und Michaela Schmid) sorgen im Gegenzug dazu für einen Hauch von Hollywood; hübsch gekleidet und unablässig gut gelaunt begleiten sie musikalisch bravourös durch den Abend (musikalische Leitung: Fabio Buccafusco).

Das tanzlastige „The Swing Thing“, dieser kleine Gruß aus der Vergangenheit, ist sehenswert und sollte uns zugleich eine Warnung sein. Immerhin demonstriert das Stück en passant, dass der Voyeurismus des verrufenen Reality TVs, dieses angebliche Novum des frühen 21. Jahrhunderts, doch keine ganz so neue Erscheinung ist und tatsächlich nicht die gesellschaftlich ästhetischsten Seite des Menschseins zu Tage fördert.

© Veronika Zangl, 2016

the_swing_thing